Ein verblüffendes Fragment aus der Vorgeschichte von Black Lives Matter
Kaum ein Essay von Hannah Arendt ist so umstritten wie ihre 1959 erschienene Kritik an der gesetzlich forcierten Integration schwarzer Schüler und Schülerinnen. Während Arendt die Einwände ihrer liberalen Freunde damals abtat, schrieb sie - die Theoretikerin der Freiheit - dem afroamerikanischen Schriftsteller Ralph Ellison 1965, sie habe seine Replik auf ihre damaligen Ausführungen gelesen, die »nackte Gewalt« bislang nicht bedacht und sein »Ideal des Opfers« jetzt erst verstanden. Um welches Opfer ging es dabei? Um welche Blindheiten? Und was erzählt diese Episode über die damalige Zeit und über das Werk Hannah Arendts? Marie Luise Knott entfaltet ein eindrückliches Mosaik an Gedanken, Bildern und Reflexionen zu den Hintergründen von Arendts Briefs und öffnet so einen Blick in den Abgrund der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Ferne und Nähe afroamerikanischer und jüdischer Erfahrungen werden erfahrbar am Beispiel dieser beiden öffentlichen Personen, die Welten voneinander trennten, auch wenn sie nur einen Zahlendreher entfernt in derselben Straße lebten. Beide konnten von ihren Fenstern aus auf den selben Fluss blicken, der gleich um die Ecke in jenes Meer mündet, über das beide, Schwarze wie Juden, einst, wenngleich unter konträren Bedingungen, ins Land kamen.