Talin Suciyan stellt eine andere Geschichte der Türkei vor, eine Geschichte, in deren Zentrum die Überlebenden des Völkermordes an den Armenierinnen und Armeniern im Jahre 1915 sowie deren Nachfahren und ihre Quellen stehen. Suciyan hat erstmals die Veröffentlichungen des Istanbuler Patriarchates, zahlreiche armenischsprachige Zeitschriften, Jahrbücher und weitere schriftliche Primärquellen sowie eigene Interviews mit Quellen aus türkischen staatlichen Archiven zusammengebracht und wissenschaftlich ausgewertet. Anhand dieses umfangreichen Materials zeigt sie, dass der Alltag der armenischen Community wie der gesamten türkischen Gesellschaft geprägt ist von der permanenten Leugnung des Völkermordes, die den türkischen Staat vor, aber auch nach der Gründung der Republik auf allen Ebenen durchzieht. Welche Art von Gesellschaft hat sich so in den letzten hundert Jahren gebildet? Und wie haben Überlebende und Nachkommen in dieser Leugnungsgesellschaft gelebt?
Talin Suciyan wurde 2015 an der Ludwig-Maximilian-Universität in München zur Dr. phil. promoviert und hat sich dort im November 2019 habilitiert. Am dortigen Institut für den Nahen und Mittleren Osten ist sie derzeit (Frühjahr 2021) als Akademische Oberrätin auf Zeit und Privatdozentin tätig.
"Mit vielen Beispielen aus dem Alltag zeichnet Suciyan nach, was das bedeutet hat: Razzien, die Enteignung von Immobilien der Gemeinde, die Entführung schulpflichtiger Mädchen, die willkürlich praktizierte Wehrpflicht für die Mitglieder der Minderheiten, das Verbot von Armenischen Publikationen. [...] Das Ziel war: Die Armenier sollten assimiliert werden oder das Land verlassen. [...] Talin Suciyan zeigt in ihrer weit ausholenden Studie, wie die Armenier trotz antiarmenischer Kampagnen überleben konnten und überlebten."
Rainer Hermann, "Wie soll man in so einem Land leben können?" (FAZ, 8. April 2016)