Erdbeben, Tsunami, Taifune - immer wieder wird Japan von Naturgewalten überfallen, die mit ihrer ungeheuerlichen zerstörerischen Macht ganze Landstriche, Ortschaften und ihre Einwohner vernichten. In ihrer Berichterstattung bemühen ausländische Journalisten gerne Kamo no Ch meis Worte von der Flüchtigkeit des menschlichen Lebens und der menschlichen Behausungen, um ihr Entsetzen, insbesondere aber einen »typisch japanischen« Stoizismus angesichts dieser Katastrophen zu beschreiben. Die Schreckensbilder, die uns in jüngster Zeit aus Japan erreichten, scheinen in der Tat den von Ch mei über achthundert Jahre früher skizzierten Naturkatastrophen verblüffend ähnlich. Seine Aufzeichnungen aus meiner Hütte sind damals wie heute gleichermaßen aktuell.
Japan im zwölften Jahrhundert. Großbrände, Wirbelstürme und Erdbeben haben die Hauptstadt Ky to zerstört, Seuchen breiten sich aus, die Leichen der Verhungerten türmen sich an den Straßenrändern. Eindrucksvoll schildert der Mönch Kamo no Ch mei (1155-1216) das Inferno und die Naturkatastrophen, von denen die Hauptstadt heimgesucht wird, das Elend und die Not der Menschen werden lebendig - »all diese Geschehnisse lehrten mich, die Mühsal, in dieser Welt zu leben, die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers und der menschlichen Behausungen zu begreifen«.
Nach den Erfahrungen von Elend, Tod und Vergänglichkeit zieht sich Kamo no Ch mei im Alter von fünfzig Jahren von Hof und Amt zurück, um ein Schüler Buddhas zu werden. Er kehrt der Welt den Rücken und baut sich in den Bergen eine schlichte Klause, in der er die Aufzeichnungen aus meiner Hütte beginnt. Er berichtet von seinem Einsiedlerleben in der Abgeschiedenheit, seine Gedanken kreisen um das Ideal des einfachen Lebens, um die Abkehr von den materiellen Werten und um die Frage, ob ihm in seiner kontemplativen Zurückgezogenheit die Überwindung der weltlichen Bindungen geglückt ist.