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Balke ist eine zentrale Figur im Werk von Heiner Müller: Theaterfigur, Denkfigur, historische Figur. In ihr trifft das gegensätzliche Wirken dreier Deutschländer ungeschützt aufeinander: die totale Zerstörung eines nationalsozialistischen Deutschlands, der enthusiastische Aufbau eines sozialistischen Deutschlands und eine sich herausbildende kalte Kriegsführung mit dem kapitalistischen Deutschland. Doch vor allem für eines steht Balke: für eine Utopie, die sich aus mannigfachen Menschenbildern speist, die an gegensätzliche Weltanschauungen anschließt, die ihre historische Verortung überschreitet - und so den "Menschen" als solchen befragt. Müllers erstes Theaterstück "Der Lohndrücker", geschrieben drei Jahre nach dem 17. Juni 1953, handelt von den Geburtswehen des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Staats- und Parteichef Walter Ulbricht charakterisiert es 1958 als ein "Werk, das die Richtung angibt, in der die Literatur sich weiterentwickeln muß". In einer Zeit der Ausreiseanträge aus dem real existierenden Sozialismus, der Zeit des Schulterschlusses zwischen Michael Gorbatschow und Helmut Kohl wird es Müllers "größter Bühnenerfolg" (Jan-Christoph Hauschild). So gelangt "Der Lohndrücker" im sich vereinigenden Berlin während des Ablebens der DDR zu deutsch-deutschem sowie internationalem Ruhm. Ausgehend von der Nachkriegszeit eines zerstörten und geteilten Berlins bis in unsere heutige globale politische Wirklichkeit hinein wird in Strehlows Müller-Lektüre ein überaus vielseitiges, turbulentes, explosives "Gemisch" namens Balke analysiert und anschaulich gemacht. Dieses Müllersche "Gemisch" zeichnet sich nun jedoch vor allem dadurch aus, daß es aus fremden"Zusatzstoffen"zusammengesetzt ist. Und so ist der Begriff der "intertextuellen Verwandtschaftsverhältnisse" hier keineswegs eine schmissige Formulierung für einen Buchtitel, sondern konstitutiver Bestandteil von Müllers Poetologie, von Müllers politischem Anspruch, von Müllers Denkprinzip. Drei unterschiedliche Perspektiven nimmt Falk Strehlow ein, wenn er Balke befragt: Wer ist Balke innerhalb der Textzusammenhänge des Lohndrücker? Welche Motivschichten Balkes lassen sich in Müllers Gesamtwerk vorfinden? Wer hat noch an Balke mitgeschrieben bzw. auf welche Weise haben sich diese fremden Autoren in das Motiv mit eingeschrieben? Bei der Beantwortung dieser Fragen verfährt der Autor zum einen in einem sorgfältigen und textnahen Leseverfahren innerhalb der Grenzen des Theaterstückes. Zum anderen bezieht er den unmittelbaren zeitgeschichtlichen Kontext in seine Lektüre mit ein. Und in einem letzten Arbeitsschritt entwickelt er Referenzen in weit entlegene intertextuelle Gebiete der Fremdlektüre und Ideengeschichte. Auf diese Weise zeichnet Strehlow ein gestaltenreiches Bild horizontaler Motivgeschichte(n) und vertikaler Schichtungen von Motiven. Falk Strehlow stellt einen von Heiner Müller eröffneten Raum dar, in dem sich zwei unterschiedliche Gesellschaftskonzepte eines geteilten Deutschlands gegenseitig als ihr jeweiliges Kontrastmittel abbilden: Balke konfrontiert den real existierenden Sozialismus mit dem real existierenden Kapitalismus. Beide Gesellschaftsformationen werden kenntlich, indem sie sich ihr geschärftes Spiegelbild zurückwerfen.