Die historische Forschung beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit den vielfältigen Aspekten der Emigration osteuropäischer Juden nach Westeuropa - insbesondere nach Deutschland - am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Demgegenüber fand die Niederlassung oder der längere Aufenthalt deutscher Juden in Osteuropa in der Historiographie bislang kaum Beachtung. Dies verwundert zunächst nicht, da es sich bei den deutschen Juden, die den Weg in den Osten Europas fanden, nur um eine sehr kleine Gruppe handelte. Doch dieser beschränkte Personenkreis bestand aus Persönlichkeiten, die in der Geschichte des osteuropäischen Judentums eine erhebliche Bedeutung erlangten.Tobias Grill fokussiert in seiner Arbeit auf zwei Berufsgruppen deutscher Juden, die in etwa zwischen 1839 und 1939 in Osteuropa gewirkt haben: Zum einen deutsche Rabbiner, zum anderen deutsch-jüdische Pädagogen. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern die beiden erwähnten Gruppen als kulturelle Mittler bei der Reform des traditionellen jüdischen Bildungswesens - eines Kernbereichs der jüdischen Aufklärungsbewegung (Haskala) - auftraten, also in gewisser Weise versuchten, bestimmte Aspekte des Bildungswesens aus ihrer Herkunftskultur in das osteuropäische Judentum zu transferieren, und wie Rezeption und Übernahme solcher Elemente durch die osteuropäischen Juden funktionierten. Fragestellung und methodischer Zugang dieser Arbeit sind demnach in der Kulturtransferforschung verortet.
Tobias Grill ist Post-Doc an der Graduiertenschule Ost- und Südosteuropastudien der LMU München.