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Natürliche Bestimmung versus Enhancement des Menschen?
Paradigmatisch für die moderne philosophische Anthropologie sind, zumindest im deutschsprachigen Raum, noch immer die Werke von Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen aus den 1920er Jahren – aber auch die mit ihnen verbundenen Folgelasten: (1) Voraussetzung für den Versuch einer Wesensbestimmung des Menschen ist die Annahme anthropologischer Konstanten, d.h. die Ansicht, dass sich allgemeine Eigenschaften, Verhaltens- und Erfahrensweisen bestimmen lassen, die allen Menschen als Menschen zukommen. Angesichts der Tatsache, dass der Mensch immer nur in bestimmter historischer und kultureller Gestalt erscheint, selbst schon eine fragwürdige anthropologische These. (2) Auf der einen Seite erhebt die Anthropologie den Anspruch, philosophische Fundamentalwissenschaft schlechthin zu sein (und als solche die Grundlage abzugeben für alle Wissenschaften vom Menschen), andererseits ist sie auf die Vorgabe einzelwissenschaftlicher Untersuchungen, etwa der Biologie, Ethologie, Psychologie und Soziologie, angewiesen und verhält sich zu diesen im Grunde nur 'reaktiv' und 'verarbeitend' (Habermas). Je nach Bezugswissenschaft ändert sich die Ausrichtung der philosophischen Anthropologie. Doch wie lassen sich ihre Konzeptionen methodisch rechtfertigen? Und inwiefern können sie als genuin philosophisch gelten?
Im Zuge der gegenwärtigen Konjunktur naturalistischer Strömungen stellen sich diese Fragen erneut, verschärft noch durch die Entstehung neuer Disziplinen wie etwa der ‹Philosophie des Geistes›, der Neurowissenschaften, der Verhaltensforschung und der Erforschung der Künstlichen Intelligenz. Die aufkommenden ‹Enhancement-Techniken› drohen die individuellen und gattungsspezifischen Grenzen zu sprengen: die menschliche Natur gehört nun selbst zum Bereich des vom Menschen Veränderbaren. Was diese neue Situation für uns Menschen und unser Selbstverständnis bedeutet, ist denn auch – neben den unter den neuen Auspizien sich stellenden Fragen nach der natürlichen Bestimmung des Menschen im Lichte heutiger einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse und insbesondere im Tier-Mensch-Vergleich – eines der Hauptthemen dieses Bandes.
Beiträge
Anita Horn: Einleitung
Judith Burkart: Beyond Common Descent: The Cooperative Breeding Model of Human Evolution Gianfranco Soldati: Prospects of a Deflationary Theory of Self-Knowledge André Wunder: Eine forschungsstrategische Überlegung zur Erklärung geistiger Fähigkeiten Florian Wüstholz: Selbstbewusstsein bei Tieren: empirische und begriffliche Probleme Markus Wild: Der Mensch und andere Tiere – Überlegungen zu einer umstrittenen Redeweise Julien Deonna: Animal Emotions Sarah Tietz: Sprache und Denken – eine anthropologische Differenz? Astrid Kottmann: Anthropologische Differenz: nur Spezies- Unterschied oder unterschiedliche Lebensformen? Christian Steiner: Vernunft als menschliches Charakteristikum Hans Sluga: Anthropos Physei Politikon Zoon. Zum Thema Politik und Anthropologie Christoph Henning: Vom Essentialismus zum 'Overlapping Consensus' – und zurück: Anthropologie und Ethik bei Martha Nussbaum und Alasdair MacIntyre Elif Oezmen: Bedeutet das 'Ende des Menschen' auch das 'Ende der Moral'? Zur Renaissance anthropologischer Argumente in der Angewandten Ethik Jan-Christoph Heilinger: Der Zusammenhang von Ethik und Anthropologie am Beispiel von Human Enhancement Maria Kronfeldner: Die epistemische Fragmentierung des Menschen: Wie der Mensch zwischen Natur und Kultur verschwindet Hanno Birken-Bertsch: Zur Kritik anthropologischer Wenden im Ausgang von Joachim Ritter Matthias Wunsch: Anthropologische Wenden – Das Person-Körper-Problem Martin Hoffmann: Menschsein und Personsein. Eine anthropologische Interpretation von Bernard Williams Rätsel Jens Harbecke: Zwei Regularitätstheorien mechanistischer Konstitution