Obwohl Alice Ceresas stets selbstbewusst behauptete, die Situation der Frau sei das einzige Thema, das sie interessiere, findet sich die feministische Frage nirgends so explizit wie im Kleinen Wörterbuch, das trotz jahrelanger Arbeit daran erst posthum erschien. Bei aller politischen Kritik ist Ceresa dabei aber nie ideologisch oder dogmatisch. Vielmehr seziert sie die patriarchalen Strukturen der Gegenwart durch sprachlichen Witz und boykottiert gesellschaftliche Normen spielerisch, indem sie die zugrunde liegende Willkür dieser wie jeder etablierten Herrschaft und Sprache aufzeigt. In Anspielung an Formwillen und Wortschatz scheinbar universeller und universalistischer Enzyklopädien will Ceresas eigenes Wörterbuch deren totalitären Anspruch ironisch zerlegen und zerstören. Statt bloß einen weiblichen »Idiolekt« zu erfinden, der die ungerechte Verteilung von Macht und Anerkennung unter scheinbarer Gleichheit versteckt, beharrt sie vielmehr auf der Ungleichheit und Differenz des Weiblichen.
Das Kleine Wörterbuch entlarvt auf ebenso unbarmherzige wie systematische Weise, die groteske Pseudo-Natürlichkeit, die unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Ihre non-binäre kritische Geste eröffnet einen textuellen Raum, der alle hegemonial kodifizierten Bedeutungen unterläuft. Diese Ideen und Begrifflichkeiten besetzen unbekannte, von der patriarchalen Gesellschaft unberührte Territorien, erfinden neue Sprachen, wo vorher Stummheit und Sprachlosigkeit herrschten.