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Die österreichische Schriftstellerin Marlen Schachinger verbrachte 2018 mehrere Wochen als "Writer in Residence" im Kosovo. Dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und rund zehn Jahre nach der Staatsgründung des Kosovo fragt sie vor Ort nach: Was verhakte sich in den Köpfen, wie viel Trennendes, wie viele Reminiszenzen an einen Krieg? Was blieb von der Euphorie einer Staatsgründung? Und sie befragt sich auch selbst: Was nimmt jemand wahr, der erstmals diesem Land begegnet? Die Neugier bedingt, dass alles in sich aufgesogen wird. Unabdingbar nötig scheint alsbald eine innere Distanzierung, um im Bestreben, detailliert wahrzunehmen, nicht überschwemmt zu werden. Alle Ereignisse, mögen sie amüsant, erhellend oder deprimierend sein, alle Kontakte vor Ort, alle Gespräche und Begegnungen werden unweigerlich vor der Folie dessen gelesen, was jemand mitbringt: In diesem Fall ein Ich mit einer 48-jährigen Lebensgeschichte, aufgewachsen in einer anderen Region – und geprägt von einer mitteleuropäischen Kultur. Damit stellt sich die Frage nach Wahrheit. Kann von einem Land jemals authentisch erzählt werden? Welche Spuren hinterlassen Ortswechsel in unserem Leben – raus aus dem komfortablen Bekannten, rein in eine gänzlich neue Umgebung, von der wir nichts wissen außer Erinnerungsfetzen aus vergangener Tagespresse? Was bedeutet all das im Hinblick auf eine kosovarische Staatlichkeit, die für zahlreiche Staaten bis heute nicht existiert? Was bleibt davon nach einem Jahrzehnt der Kämpfe um die Zukunft? Und wie konnte es geschehen, dass die Klimax dieses Erbes aus Krieg, Euphorie, Korruption und Skandalen nun die Aussage ist, es gebe keine Hoffnung im Land, lieber verlasse man es, besser heute als morgen? Marlen Schachingers literarischer Reisebericht öffnet den Blick auf einen Kosovo fernab (geo)politischer Diskussionen um einen gescheiterten Staat, Mafia-Ökonomie und Emigration. Und doch wieder nicht: Denn ihr literarischer Versuch über die Wahrheit spiegelt besagte Zustände.