Die vorliegende Studie stellt die zweite Werkphase von J.M.G. Le Clézio (*1940) in die literarische Tradition imaginärer Reisen, die sich aus Romantik und Surrealismus herleiten. Imagination und Traum sind Schlüsselbegriffe einer auf Grenzüberschreitung ausgerichteten Suche, die sich vor allem auf die Sprach- und Ecriturekonzeption bezieht. Seit dem Roman »Voyages de l'autre côté« wird die Reise auf die 'andere Seite' zum Programm, mit der Erzählung »La montagne du dieu vivant« auch zum Struktur- und Erkenntnisprinzip: Der Initiationsweg beschreibt die stufenweise Abkehr aus der historischen Wirklichkeit und die temporäre Erfahrung mystischer Überwirklichkeit, aus der die Protagonisten, desillusioniert oder befreit, zurückkehren. Am Beispiel der Mauritius-Texte - dem Roman »Le chercheur d'or« (1985), dem Reisebericht »Voyage à Rodrigues« (1986) sowie dem monumentalen Reiseroman »La quarantaine« (1995) - wird deutlich, daß die wiederholte Reise auf die Insel der Vorfahren einer poetologischen Selbstinszenierung entspricht: Die regressive Engführung der Quarantäne wird zum Akt dichterischer Selbstwerdung. Auf der methodischen Grundlage von Gaston Bachelards Dichtungstheorie der imagination matérielle, die auf C.G. Jungs Archetypenlehre rekurriert, wird das Projekt in tiefenpsychologischer Perspektive untersucht: In einer Figuren- und Bildbereichanalyse wird gezeigt, daß wiederkehrende Doppelgänger und elementare Naturräume Projektionen sind, durch die sich ein schreibendes Ich zum Ursprung des Textes führt.