Die bisher gängige Trennung zwischen bloß kommentierenden naturphilosophischen und originellen intellekttheoretischen Schriften hat zu einem verzerrten Bild der Philosophie des andalusisch-arabischen Denkers Ibn Bagga (gest. 1139) geführt. Insbesondere seine vielbeachtete Seelenlehre, durch deren entscheidenden Einfluss auf seinen Nachfolger, den Kommentator Averroes, Ibn Bagga auch auf die abendländische Philosophie gewirkt hat, kann nur unter Berücksichtigung des Gesamtwerkes angemessen verstanden werden. Die vorliegende Studie zeigt im Ausgang vom editorisch wesentlich verbesserten Text seines De anima-Kommentars, Kitab al-nafs, mittels einer durch das gesamte OEuvre hindurchgehenden Analyse des zentralen Begriffs der Potenz bzw. des Vermögens, dass Ibn Bagga die Psychologie im Sinne des Aristoteles konsequent als Naturwissenschaft konzipiert und auf naturphilosophischen Prinzipien aufbaut. Gleichzeitig erweist er sie als Fundamentalwissenschaft, die aufdeckt, dass und wie diese Prinzipien auf den Intellekt als auf ein übergeordnetes Prinzip bezogen sind. Indem er sie vollendet, begründet der reine Akt des Intellekts die natürlichen Prinzipien und Potenzen. So geht die Erkenntnis den Weg vom Denken der Natur zur Natur des Denkens.