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Das vorliegende Buch enthält die Edition von Anton Martys Vorlesungen zur Deskriptiven Psychologie, die er in Prag im Wintersemester 1894/95 hielt. Als Grundlage für die Edition gilt die vom damaligen Jura-Studenten Alfred Kastil, dem späteren Enkelschüler und Herausgeber der Werke Brentanos, angefertigte Mitschrift.Anton Martys Lebensaufgabe war die Entwicklung einer organischen Sprachphilosophie, die aus dem Boden der Brentano'schen Philosophie erwächst - in einer treffenden Metapher wurde Marty als Brentanos "Minister für sprachliche Angelegenheiten" bezeichnet.Marty setzte sich zugleich eine weitere Aufgabe, die für ihn vielleicht eine noch größere Bedeutung hatte: Er sah sich als Ausleger und Verteidiger, sozusagen als Propheten der Brentano'schen Philosophie. Diese Funktion wurde vor allem dann wichtig, als Brentano seine Wiener Professur 1880 verlor und schließlich 1896 nach Italien ins "Exil" ging. Von diesem Zeitpunkt an wurde Prag die Hochburg des Brentanismus und Marty zu Brentanos Stellvertreter und "Pressesprecher" in der Habsburger Monarchie.Diese Aufgabe hat Marty vor allem durch seine Lehrtätigkeit ausgefüllt und seine Vorlesungen zur Deskriptiven Psychologie stellen hierfür ein Paradebeispiel dar: Sie können als systematische Zusammenfassung der Brentano'schen Psychologie betrachtet werden. Marty geht von Brentanos Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874) aus und sieht dessen spätere Deskriptive Psychologie (1889ff.) als folgerichtige Weiterentwicklung an.In der Einleitung geht Marty von Brentanos Unterscheidung zwischen deskriptiver und genetischer Psychologie aus. Die deskriptive Psychologie sucht die "Elemente, aus denen das ganze psychische Gewebe sich zusammensetzt und die wichtigsten konstanten Verbindungen" aufzuzeigen und kommt hierbei von der Erfahrung ausgehend auf apriorische Gesetze, die ausnahmslos gelten. Hingegen versucht die genetische Psychologie die "Gesetze des Entstehens und Vergehens der psychischen Wirklichkeiten" zu erklären, wobei der Bezug auf Physik und Physiologie unvermeidlich ist, und mithin weist sie einen empirisch-hypothetischen Charakter auf. Dieser Einleitung folgt eine allgemeine Behandlung des Psychischen, die im Wesentlichen mit Brentanos Ausführungen im zweiten Band der Psychologie vom empirischen Standpunkt übereinstimmt. Marty diskutiert hier insbesondere die einzelnen psychischen (intentionalen) Beziehungen und ihr Verhältnis zueinander, das Problem unbewusster psychischer Akte sowie jenes der Einheit des Bewusstseins. Die weiteren Abschnitte sind den deskriptiven Eigentümlichkeiten der (sinnlichen und abstrakten oder begriffl ichen) Vorstellungen, Urteile und Phänomene des Interesses gewidmet. Einen wesentlichen Teil machen hier die Untersuchungen über die konkreten Vorstellungen, die Sinnesanschauungen, aus, die sich sowohl an Brentanos Deskriptiver Psychologie als auch an dessen Untersuchungen zur Sinnespsychologie (1893ff., erschienen 1907) anlehnen. Mit der Behandlung der Relationen auf psychischem Gebiet schließt Marty diese Vorlesung. Martys Vorlesungen zur Deskriptiven Psychologie, die in unterschiedlichen Fassungen zirkulierten, sind insofern wichtig, als sie die Grundzüge der Brentanoschen deskriptiven Psychologie bei seinen "Enkelschülern" verbreiteten und zu einem bestimmten, in gewisser Hinsicht auch stereotypischen Brentanobild beitrugen.