Die Schriften der römischen Landvermesser sind ein einzigartiges Zeugnis für die antike Agrar- und Rechtsgeschichte und führen zu Grundfragen der römischen Politik und Kultur. Expansion und Kolonisation, Grenzwesen, Bodeneigentum und antike Verwaltungspraxis finden sich hier vielfältig gespiegelt. Aus ihrem reichen Fundus an technischem, geometrischem und astronomischem Wissen schöpften auch die folgenden Epochen. Dieses langanhaltende Interesse an den Inhalten der gromatischen Schriften ist der Grund für ihre jahrhundertelange Persistenz.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage nach der Transmission und Rezeption des gromatischen Wissens in den nachantiken Epochen. Eine historisch-kodikologische Analyse der ältesten erhaltenen Handschriften aus der Zeit zwischen 500 und 900 zeigt, dass jede Transkription mit einer Neukonfiguration einherging, an der die Schreiber als Agenten entscheidenden Anteil hatten. In einem selektiven Prozess des Exzerpierens, Kompilierens und Glossierens adaptierten sie Formen und Inhalte an neue Sinn- und Gebrauchshorizonte. Der historisch fundierte Blick auf das Wirken der mittelalterlichen Kompilatoren lässt die vielfach gebrochene Überlieferungsgeschichte der römischen Wissensliteratur zwischen Antike und Frühmittelalter in einem neuen Licht erscheinen: nicht als anhaltende Serie von Irrtümern und Verlusten, sondern als dynamischen Prozess von Transfer und Transformation vor dem Hintergrund historischen Wandels.
Diese grundlegende, epochenübergreifende Arbeit richtet sich gleichermaßen an Altertumswissenschaftler.innen und Mediävist.innen. Sie bietet neue Erkenntnisse zu einem wichtigen Quellenbestand der vormodernen Geschichte und stellt einen methodisch innovativen Beitrag zur vormodernen Überlieferungs- und Wissensgeschichte dar.