Die im vorliegenden Band herausgebenen Forschungsmanuskripten basieren auf den sogenannten U-Blättern, einer von Edith Stein im Auftrag Husserls 1917 zusammengestellten Manuskriptsammlung zur "Urteilstheorie". Für Husserl war die Urteilstheorie das Kernstück der phänomenologischen Theorie der Vernunft, da in ihr die Probleme der Logik, der Ausdrucks- und Bedeutungslehre sowie der Erkenntnistheorie in ihrer wechselseitigen Verbundenheit zum Austrag kommen.
Die im ersten Teil des Bandes veröffentlichten Texte aus dem Zeitraum 1893 bis 1899 zeigen, wie Husserls urteilstheoretische Forschungen ihren Ausgang von der intensiven Auseinandersetzung mit der Urteilstheorie seines Lehrers Franz Brentano nehmen. Diese Texte bieten einen wichtigen Einblick in die Entwicklung und Vorgeschichte von Husserls Bedeutungs- und Erkenntnislehre in den Logischen Untersuchungen; behandelt werden insbesondere die Scheidung von subjektiv-psychologischer und objektiv-logischer Forschungsrichtung, die Erfüllungslehre, die Lehre von der kategorialen Anschauung, die Bedeutungskategorien sowie der Evidenz- und Wahrheitsbegriff. Besondere Beachtung verdienen in diesen frühen Manuskripten Husserls Bestimmungen der Begriffe "Satz" und "Sachverhalt", insofern es sich hierbei um Schlüsselbegriffe seiner späteren, im zweiten Teil des Bandes dokumentierten Urteilstheorie handelt.
Dieser zweite Teil kann als Ergänzung zu den in anderen Bänden der Husserliana herausgegebenen Göttinger Vorlesungen Husserls zur Logik und Erkenntnistheorie angesehen werden. Er vervollständigt das Bild von der Weiterentwicklung und den grundlegenden Veränderungen in Husserls Bedeutungs- und Urteilslehre nach den Logischen Untersuchungen. In den hier veröffentlichten, aus den Jahren 1908 bis 1918 stammenden Texten versucht Husserl sich unter anderem über den Urteilsbegriff selbst Klarheit zu verschaffen. Hierbei gilt es einerseits das im Urteil Vermeinte genau zubestimmen und Satz als ideale Bedeutung vom Sachverhalt als Urteilsgegenständlichkeit sorgfältig zu unterscheiden und die mit diesen Termini verbundenen Äquivokationen zu beseitigen; andrerseits geht es darum das Urteilen als Denkakt zu seinen anschaulichen Vorstellungsunterlagen ins Verhältnis zu setzen. Beachtenswert sind desweiteren Husserls Bemühungen um eine Klärung des Unterschieds zwischen Wesensurteilen und empirischen Urteilen. Ein umfangreiches, für die Methode phänomenologischer Deskription bedeutsames Manuskript ist einer Untersuchung der immanent-deiktischen Urteile und ihrer Gültigkeit gewidmet.