Die komplexen Debatten zum Verhältnis von Wissenschaft und Literatur im 19. Jahrhundert sind durch zahlreiche Mißverständnisse von Gelehrten und Dichtern geprägt. Die Studie rekonstruiert den historischen Diskussionsprozeß zunächst anhand der Schriften von Auguste Comte, Hippolyte Taine und Ernest Renan, die auf unterschiedliche Weise versuchen, wissenschaftliche Defizite durch literarische Verfahren zu kompensieren. Aufgrund abstrakter Darstellungen kann die Wissenschaft ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht wahrnehmen und ist gezwungen, auf literarische Verfahren zurückzugreifen, um ein größeres Publikum zu erreichen und damit ihre politischen Forderungen umzusetzen. Bei der Formulierung dieses Vermittlungsauftrags "entdecken" die Gelehrten eigenständige literarische Erfahrungsweisen, die denen der Wissenschaft gleichwertig ist.
In Analogie zu den Bestrebungen der Wissenschaftler versuchen die Dichter Honoré de Balzac, Jules und Edmond de Goncourt sowie Emile Zola ihrer Epik größere Anerkennung zu verschaffen, indem sie diese den anerkannten wissenschaftlichen Methoden annähern. Dabei unterlaufen sie traditionelle ästhetische Postulate, die dem wissenschaftlichen Anspruch entgegenstehen, durch begriffliche Umbesetzungen und innovative Darstellungsverfahren. Hiervon ist der klassische Mimesisbegriff ebenso betroffen wie das vraisemblance-Konzept und der Geniebegriff, der neu definiert wird. Am vorläufigen Ende des Diskussionsprozesses, der Wissenschaft und Literatur des 19. Jahrhunderts einander annähern sollte, werden sowohl die ästhetische Autonomie als auch die künstlerische Subjektivität bestätigt: Eine Annäherung findet nicht statt.