Die eine Psychosomatik oder einen eindeutigen Bereich medizinischer Phänomene gibt es nicht. Im psychosomatischen Leiden stehen naturwissenschaftliche Evidenzen auf dem Spiel, es verhandelt den Status von Krankheit und Gesundheit zwischen Biologie und Gesellschaft. Als 'Unter-die-Haut-Gehen' psychischer oder sozialer Leiden, als Leiden an der Kultur, als Epochenkrankheit tritt dieses in historisch wandelbaren Gestaltungen auf: Im Gewand der Melancholie etwa, dann als Neurose und Hysterie und heute als Erschöpfung. Psychosomatik nimmt damit eine zentrale Position im Verhältnis von Literatur und Medizin ein: Denn hier 'verkörpern' sich psychische und soziale Leiden, Körper 'sprechen' und bezeugen die sie krankmachenden Umwelten. Diese - je nach Perspektive semiotische, hermeneutische oder medien- und kommunikationstheoretische - Annahme verschwistert Psychosomatik mit den zeichenhaften Darstellungsverfahren von Literatur und Theater.
Sophie Witt erzählt eine breite Faszinationsgeschichte: Von historischen und literarischen Akteuren, von Seelen, Körpern und Organen, von 'wilden' Momenten innerhalb der Rationalisierung. Sie schaut auf die Wechselfälle der Somatisierungen und Symbolisierungen, auf Störfälle und Verdrängungslagen, Heilsversprechen und Wahrheitssuchen. Mit welcher Not, aber auch Begehren wird somatisch an der Umwelt gelitten und dieses Leiden notorisch dargestellt? Es geht um Ambivalenzen in den zentralen Oppositionspaaren wie Körper und Psyche, Subjekt und Objekt, Natur und Gesellschaft, Geistes- und Naturwissenschaft, Kunst und Wissen.