Kein Komponist vor Josquin Desprez (ca. 1450-1521) hat eine so breite, über elitäre Musikerkreise hinausweisende Rezeption erfahren, und nicht umsonst wird sein einflussreiches Nachleben im 16. Jahrhundert heute immer wieder mit demjenigen Beethovens im 19. Jahrhundert verglichen.
Die vorliegende Studie nimmt den sehr quellenreichen deutschen Sprachraum in
den Blick, und zwar in einer durch das Material nahegelegten Gliederung nach
« Rezeptionsparadigmen ». Diese Paradigmen - Kanonisierung, Heroisierung, Literarisierung und Historisierung - lassen die Verwurzelung der deutschen Josquin-Rezeption in der Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts erkennen und verweisen besonders auch auf die Bedeutung der humanistischen Gelehrtenkultur für
den Umgang mit musikalischer Autorschaft und polyphoner Kunstmusik.
Entsprechend weit wurde der Horizont gespannt : Die zu Wort kommenden Quellen und Protagonisten reichen von Musikhandschriften und musiktheoretischen
Traktaten bis zu humanistischer Panegyrik, von Komponisten und Musiktheoretikern bis zu Theologen, Rhetorikern und Philosophen - unter ihnen etwa auch der Reformator Philipp Melanchthon, der es nicht versäumte, Josquin in einem
Atemzug mit Homer, Caesar und Ovid zu nennen, also mit einigen der damals
größten Namen der Geistes- und Kulturgeschichte.